Salade niçoise

Eines der Dinge, die mir bei Rezepten aus dem Netz permanent auf die Nerven gehen, ist, wenn jemand ein Rezept als klassisch bezeichnet. Da sollte man vorher sinnvollerweise ein wenig Quellenstudium betreiben, um wirklich herauszuarbeiten was klassisch im jeweiligen Fall bedeutet. Also mal halbwissenschaftlich, Salade niçoise ist ein perfektes Beispiel. Fängt man bei Wikipedia an findet sich eine Beschreibung, die die Ursprünge auf das Jahr 1893 zurückführt und sich auf Auguste Escoffier als eine der frühen Quellen bezieht. Hierzu sei angemerkt, das sich das Rezept in meiner deutschsprachigen Ausgabe nicht auf Seite 688 sondern auf Seite 562 findet. Das Rezept sieht zu gleichen Teilen grüne Bohnen sowie gewürfelte Kartoffeln und Tomaten und in der Garnitur Kapern, Oliven und Saredellen vor, das Ganze mit Essig und Oel angemacht. Es wird bei Wikipedia korrekterweise auf die Garnitur à la niçoise hingewiesen, in selbigem Buch auf Seite 80 definiert, die sautierte Tomate, Sardellen, Kapern, schwarze Oliven und Zitronenfilets gewürzt mit Estragon und Knoblauch sowie Sardellenbutter vorsieht und als Begleitung zu Fischgerichten gedacht ist. Zur Zeit von Escoffier wurden die Garnituren ernst genommen. Wenn ein Salat niçoise heißt dann muss auch niçoise drin sein. Zu den Garnituren schreibt Escoffier, Zitat:

„Die Zusammensetzung der Garnituren ist bei allen Gerichten im Prinzip unantastbar. Trotzdem entstehen in zahlreichen Fällen Änderungen, die sich jedoch lediglich auf einen Wechsel in der Anrichteweise oder in der Form beziehen. Es ist selbstverständlich, daß die gleiche Garnitur bei einer Rindslende in anderer Form serviert werden muß als bei Tournedos, da sich die Anrichteweise dem Gegenstand anzupassen hat. Die Bestandteile bleiben jedoch immer die gleichen.“

Ziehen wir Paul Bocuse als zweite Quelle zu rate, sehen wir eine Variation, da er Kopfsalat und Zwiebel hinzufügt. Gemeinsam haben beide Rezepte Kartoffel, Tomate und grüne Bohne und das Dressing aus Essig und Öl. Halten wir mal fest, weder Thun noch gekochtes Ei findet in irgendeiner Weise Erwähnung, das ursprüngliche Rezept ist trivial, so zusagen stripped to the bone. Es gibt auch keine Hinweise auf die Verwendung von French Dressing, was ist das überhaupt. Alles was heute in der Restaurantküche serviert oder in Netz dargestellt wird hat mit klassisch nichts zu tun also sollte man es auch nicht so nennen. Das Ergänzen um Thun und Ei ist eher dem Umstand geschuldet daß der Salat in Bistros als Hauptgericht serviert wird und die Küchen diese Zutaten als kostengünstige Erweiterungen gern annehmen. Ein Salat ist aber in der klassischen französischen Küche ein kleines Hors d’œuvre und wird von Paul Bocuse auch explizit dort eingeordnet. In der gehobenen Küche, speziell zu Beginn des 20ten Jahrhunderts, würde auch nie Dosenware Verwendung finden, eher ein kleines Stück aus dem frisch gebratenen Filet vom Thun. Und sowohl Escoffier als auch Bocuse widmen Eispeisen eigene Kapitel, bei Escoffier ganze 33 Seiten und er schreibt dazu, Zitat:

„Eine Abhandlung über das Ei – diesen Proteus der Küche – muss erst noch geschreiben werden“, sagte einst Monselet in seinen „Lettres gourmandes“. Seit dem sind viele Bücher diesem Gegenstand, den die Alten als das Symbol der Welt betrachteten, gewidmet worden. Kein Einziges aber konnte bisher die Mannigfaltigkeit der Rezepte wiedergeben, die ihre Entstehung der Eingebung des Augenblicks oder der Phantasie des Praktikers verdanken. Auch wir maßen uns nicht an, in diesem Kapitel alles das wiederzugeben, was selbst Spezialwerke nicht erschöpfend behandeln könnten, sondern beschränken uns darauf, die gebräuchlichsten Arten zu beschreiben und dabei, soweit wie nur möglich, auf die Einheitlichkeit der Ausführung und der Bezeichnungen zu achten.“

In der klassischen französischen Küche würde man wohl kaum ein halbes gekochtes Ei auf einem Salat drappieren. Es muss nochmal betont werden, Escoffier hatte die Küche im Hotel Ritz in Paris. Das war Anfang des 20ten Jahrhunderts eine ziemlich elitäre Veranstaltung. Würde er den Salat wie in den gängigen Rezepten beschreiben servieren würden die Gäste zweimal kommen, einmal und nie wieder. Nur wenige machen sich da ein Stück weit ehrlich und nennen es zum Beispiel „Salade Nicoise: Nizzasalat mit Thunfisch und Ei“, aber aufgemerkt, mathematisch gesehen ist A ungleich A + B + C. Außerdem sollte man sich darüber im Klaren sein, daß irgendwann eine Grenze überschritten wird, ab der die Salatvariation nichts mehr mit dem Original zu tun hat. Dann sollte man sie auch nicht so nennen. Artischockenherzen, Spargel, Radieschen, rote Beete, Paprika? In Deutschland nennt man das gemischter Salat, in Italien Insalata Mista. Also für die Geschichtsbeflissenen, Bohnen, Kartoffeln und Tomaten mit Oliven, Kapern und Sardellen. Ergo, die klassische Variante stammt am Ehesten von Auguste, aufgeschreiben Ende des 19ten Jahrhunderts und geht mit fiktiven Mengen etwa so:

  • 100 g grüne Bohnen
  • 100 g Kartoffeln
  • 100 g Tomaten
  • 20 g Kapern
  • 10 Oliven entkernt
  • 4 Sardellenfilets
  • Weißweinessig
  • nicht unbedingt aber eventuell Olivenöl
  • Salz, Pfeffer

Und somit kein Thunfisch und keine hartgekochten Eier. Ehrlich gesagt, ich kann unverarbeitete gekochte Eier im Salat eh nicht empfehlen da sie unangenehm riechen. Und was ist lecker an einem Thun aus der Dose? Die einzige Verwendung die mir dazu einfällt ist die Sauce für ein Vitello Tonnato.

Das Herrichten ist einfach, Brunoise von den Kernzutaten mit Essig und Öl anmachen, Saredelle, Olive und Kaper als Garnitur. Paul Bocuse ergänzt Kopfsalat und Zwiebel. Beides aus meiner Sicht auch aus ästhetischen Gründen. Ich seh kein Problem darin den Salat auf frischem Grün anzurichten, als Hors d’œuvre zum Beispiel vieleicht auf einem Blatt Chicoree. um möglichst nah an der Garnitur zu bleiben wäre es möglich den Essig durch Zitronensaft zu ersetzen und mit wenig frischem Estragon zu bestreuen.

Natürlich muss der Küche die Freiheit zugestanden werden mit anderen Zutaten zu ergänzen. Aber dann den Salat bitte nicht klassisch nennen. Diese Rezepte beschreiben am ehesten einen Salade Niçoise à la mode bistros française, also Niçoise-Salat im französischen Bistrostil und das Ergebnis ist und bleibt eine Chimäre.